Braunstein, Dirk: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 28. November 2019, 08:35 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Dr. Dirk Braunstein (Frankfurt am Main)
- 1995 Univ.-Doz. Mag. Dr. phil. Studium der Germanistik und Philosophie, Promotion sub auspiciis praesidentis Rei Publicae in Germanistik (Literaturtheorie)
- 2006 Habilitation für Philosophie
- seit 2006 Universitätsdozent am Institut für Philosophie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (AAU)
- bis 2013 Assistenzprofessor am Institut für Philosophie der Katholischen Privatuniversität Linz
- 2014-2016 Senior Researcher im FWF-Projekt Topographien des Körpers an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien
- 2016-2018 Senior Scientist (Literaturdidaktik) am Institut für GermanistikAECC der AAU, derzeit Senior Researcher im FWF-Projekt MUSIL ONLINE – interdiskursiver Kommentar am Robert-Musil-Institut für Literaturforschung ebenda
- aktuell Kurator von MUSIL ONLINE (www.musilonline.at). Redaktor bei RISS. Zeitschrift für Psychoanalyse (www.risszeitschriftfuerpsychoanalyse.org).
Editionen
Forschungsschwerpunkte
Kritische Theorie; Kulturindustrie; Verhältnis von Philosophie und Soziologie; Archivtheorie
Vortrag
Para - Texte als Beitexte ihrer eigenen Genese
Seit 2014 bearbeite ich, gefördert durch die Gerda Henkel Stiftung und unter Leitung von Axel Honneth, das Projekt »Die Frankfurter Seminare Theodor W. Adornos. Edition und Publikation der Gesammelten Sitzungsprotokolle 1949–1969«. Ihm zugrunde liegen 476 Sitzungsprotokolle aus 57 Seminaren, die auf Adornos Veranlassung hin angefertigt wurden: In jeder Seminarstunde hatte ein Student oder eine Studentin das Protokoll zu führen, das meist in der folgenden Sitzung verlesen wurde, um den Anschluss an die stattgehabte Diskussion wiederherzustellen. Anhand der Probleme, die sich bei der Edition der Sitzungsprotokolle ergeben, erhellt sich, dass den philologischen Kategorien der Autorschaft, der Autorisierung sowie der Authentizität sowohl bei der Edition als auch bei der Rezeption jener Protokolle materialbedingt eine andere Bedeutung zukommt als etwa bei zu Lebzeiten publizierten Werken, nachgelassenen Schriften, Vorlesungsnachschriften, Briefwechseln, Tagebüchern und Notizen. Agens der Edition ist kein »Werk«, auch kein Autor. Wenngleich damit zu rechnen ist, dass es in der Hauptsache das Interesse an Adorno sein wird, das zur Rezeption der Seminarprotokolle bewegen wird – an seiner Lehrtätigkeit, dem Umgang mit den Studenten, hoffentlich auch an der Kritischen Theorie –, so handelt es sich doch an keiner Stelle so um »Adorno« wie bei seinen Schriften inklusive den nicht-autorisierten Vorlesungen innerhalb der Nachgelassenen Schriften. Adorno hat die Sitzungsprotokolle nicht nur nicht autorisiert: Er hätte auch nicht die Autorität dazu gehabt, geschweige denn eine Autorschaft. Die Protokolle bilden nicht den Seminarverlauf ab, sondern bestenfalls wohl so etwas wie das Verständnis des Protokollanten vom Verlauf mit Blick darauf, was für das Protokoll als solches wichtig sein mag, somit zugleich die Bedingungen seiner eigenen Genese, ohne dass diese Bedingungen abseits des Protokolls fortbestünden; die Protokolle sind die einzigen Zeugen ihrer Entstehung, Texte, die als »eigentlich« gelten könnten, sofern sich jene darauf bezögen, existieren aus immanenten Gründen der spezifischen wissenschaftsliterarischen Gattung »Sitzungsprotokoll« nicht. Insofern sind die Protokolle einerseits »Para«, andererseits »Texte«, aber keine Paratexte, weil, worauf sie sich beziehen, niemals textliche Gestalt hatte – sie textualisieren (als »Werk«) erst, was zuvor Prozess war: die jeweils spezifische Lehr- und Lernsituation innerhalb des so und nicht anders gestalteten historischen Seminarkontexts, dem sie entstammen und dessen Teil sie zugleich sind. Mein Vortrag will, vom Besonderen ins Allgemeine gehend, an der Edition der Protokolle zeigen, wie sehr die Unterscheidung des – zu edierenden – Werktexts einerseits sowie des als Paratext zu behandelnden – und ggf. als solchen zu edierenden – Beiwerks stets eine ist, die, obzwar materialbezogen, so doch nicht aus dem Material als solchem hervorgeht, sondern vom Editor in der jeweils konkreten historischen Situation unabdingbar getroffen werden muss. Insofern stellt sich, methodologisch gesprochen, vor der Frage, wie mit Paratexten editionsphilologisch zu verfahren sei, notwendig und stets aufs Neue die, was als Text und was als Beitext erst erachtet wird: gegen die Identifizierung von Text und »Werk«. Damit soll keiner Beliebigkeit editionsphilologischer Begriffe oder gar Praxis das Wort geredet werden, sondern im Gegenteil das begriffliche Instrumentarium geschärft werden.