Schmitz-Emans, Monika

Aus AG-Tagung 2020
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Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans (Bochum)

  • 1975 Studium der Germanistik und Philosophie, später auch der Italianistik und Kunstwissenschaft in Bonn
  • 1980 erstes Staatsexamen für das Lehramt in Deutsch und Philosophie
  • 1984 Promotion in Bonn über Jean Pauls Sprachreflexion
  • 1983-1989 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bonn
  • 1992 Habilitation in Bonn, Erhalt der venia legendi für Neuere deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft
  • 1992 Berufung auf eine C 3-Professur für Europäische Literatur der Neuzeit an der FernUniversität Hagen
  • seit 1995 C 4-Professur für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum
  • 1999-2005 Leitung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft
  • 2002 Max Kade Distinguished Visiting Professor an der University of Notre-Dame, Indiana
  • seit 2005 Mitglied der Academia Europea
  • 2011 Max Kade Distinguished Visiting Professor an der University of Wisconsin Madison
  • 2007-2017 Leitung der Jean-Paul-Gesellschaft
  • seit 2017 Mitglied der AWK (NRW)

Forschungsschwerpunkte

Literaturtheorie und Poetik; komparatistische Stoff-, Motiv- und Einflussforschung auf dem Feld der europäischen und amerikanischen Literatur; Beziehungen zwischen Literatur und Philosophie, Literatur und bildender Kunst, Literatur und Musik; Reflexion von Geschichte und Geschichtlichkeit im literarischen Medium

Vortrag

Marmorierte Seiten – oder wie ediert man den Zufall?

Bezieht man, wie es Genettes Modell entspricht, in die Betrachtung ‚peritextueller‘ Phänomene auch die jeweilige Materialität eines Textes ein (auch ganz konkret mit Blick auf die Materialien, aus dem das Werk hergestellt wurde), so stellt sich zumindest in manchen Fällen nicht allein die Frage, was davon editorisch dargestellt werden sollte, sondern auch die, was davon überhaupt dargestellt werden kann. Vor besondere Herausforderungen gestellt sehen sich Editoren angesichts solcher Werke, deren Materialität als für diese selbst konstitutiv zu gelten hat. Dies gilt im Bereich der Literatur insbesondere für die (im weiteren Sinn gefaßte) ‚Materialität‘ von typographischer Gestaltung und mise en page, in Einzelfällen aber auch für das Material, aus dem ein Buch, ein Heft, ein Faltblatt oder ein anderer Schriftträger besteht, insofern dieses Material selbst ‚zum Werk gehört‘. Was man als werkkonstitutiv zu verstehen hat, ergibt sich aus einem ersten Interpretationsschritt vorab. Ein wichtiges, aber nicht zwingendes Kriterium ist die Erwähnung des Materials im jeweiligen Text selbst, oder aber Anspielungen auf dieses Material, entsprechende Sprachbilder oder andere verbale Verweise. Literatur, für welche Materialität und Gestalt des Buchs konstitutiv sind, sind von der Frage nach dem ggf. editorisch Darzustellenden besonders betroffen. Ein wegweisendes Beispiel solcher „Buchliteratur“ ist Laurence Sternes Roman „Tristram Shandy“ (Buch 1-9, 1759-1767), und zu den bekanntesten Elementen dieses seine Buchhaftigkeit stark betonenden Werks gehört die „marbled page“. In den von Sterne selbst überwachten Ausgaben bestand diese aus einem Blatt, auf das der Drucker vorn und hinten ein rechteckiges Stück marmoriertes Papier zu kleben hatte; eine gedruckte Anweisung (die dann überklebt wurde) markierte die Stelle. Im Romantext spricht der Erzähler unmittelbar vor diesem Blatt von diesem als einem „emblem of my work“, weist ihm also als eine Art Sinnbild seines Werks selbst besondere Bedeutung zu. Dabei macht die ‚marmorierte Seite‘ jedes Buchexemplar zum Unikat: die (zufallsbedingte) Strukturierung des marmorierten Papiers ist unwiederholbar, es sei denn – auf der Basis moderner Reproduktionstechnologien – durch photomechanischen Nachdruck, aber dieser erzeugt eben nicht, was die Vorlage jeweils ist: ein Einzelstück. Das ‚Einmalige‘, Individuelle, sowie das ‚Zufällige‘ sind dabei zentrale Themen des Romans. Spätere Ausgaben sowie Übersetzungen des „Tristram Shandy“ sind mit der marmorierten Seite unterschiedlich verfahren. So wurden neue marmorierte Papiere verwendet, später dann (was heute üblich ist) marmorierte Papiere reprographisch abgebildet (aber dann fast immer irgendwelche); die ursprüngliche Farbigkeit wurde meist durch schwarz-weiß-graue Formen ersetzt. Annotierte Ausgaben kommentieren die Seite manchmal, dabei unterschiedlich. Das Spektrum möglicher editorischer Darstellungen reicht von der (heute möglichen) faksimilierten Wiedergabe über die Substitution bis zur Weglassung der marmorierten Seite, das der Kommentierungen von kurzen Hinweisen bis zu Interpretationen der semantischen Dimension dieser Seite unter den Aspekten Sinnbildlichkeit, Zufälligkeit, Einzigartigkeit, Unwiederholbarkeit, ‚Buntheit‘ etc. Die jeweiligen Implikationen der editorischen Entscheidung lassen sich an Beispielen gut verdeutlichen, das Ineinandergreifen von Darstellung (auch verbal-deskriptiver) und Interpretation belegen exemplarisch Editorenkommentare. Zu fragen ist u.a.: Wie vertretbar sind welche Substitutionsregelungen? Und was impliziert der editorische Versuch, das Unwiederholbare zu wiederholen? Sind Herausgeberkommentare Kompensationen der Entstellung respektive der Verfehlung des Ausgangswerkes?