Over, Berthold

Aus AG-Tagung 2020
Wechseln zu: Navigation, Suche

Dr. Berthold Over (Greifswald)

  • 1991 Entdeckung des unbekannten Vivaldi-Autographs „Sovvente il sole“ im Conservatorio Benedetto Marcello Venedig
  • 1994 Promotion an der Universität Bonn über „Per la Gloria di Dio. Solistische Kirchenmusik an den venezianischen Ospedali im 18. Jahrhundert“
  • 2004 Entdeckung des unbekannten Händel-Autographs „Crudel tiranno Amor“ (jetzt HWV 97b) in der Bayerischen Staatsbibliothek München
  • WS 2007/8 Lehrbeauftragter am Musikwissenschaftlichen Institut an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • 1/2010-7/2016 Schatzmeister und Schriftleiter der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • 2017 Entdeckung des verschollenen Autographs der Nr. 1 der Kindertotenlieder von Gustav Mahler (Klavierfassung)
  • 10/2009-3/2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, unter anderem wissenschaftliche Mitarbeit bei dem Projekt „Music Migration in the Early Modern Age: the Meeting of the European East, West and South“ und dem internationalen HERA-Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Europäischen Union (EU)
  • seit 4/2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter im deutsch-polnischen Projekt „PASTICCIO. Ways of Arranging Attractive Operas“ von DFG und NCN (Narodowe Centrum Nauki)

Forschungsschwerpunkte

Mobilität und Migration von Musikern und Musik im 17. und 18. Jahrhundert; Musik am Münchner Hof; Georg Friedrich Händel

Vortrag

Pasticcio-Daten und Daten-Pasticcio – zur Edition kompilierter musikalischer Werke

In der Frühen Neuzeit gehörten Techniken des Zusammenstellens, Kompilierens und Bearbeitens präexistenten Materials in vielen Künsten zu den etablierten Arbeitsmethoden. Gerade im musikalischen Bereich ist diese Technik häufig anzutreffen. Betrachtet man etwa Händels Opern, Oratorien und Konzerte oder Bachs Passionen, Kantaten und Instrumentalwerke so greifen die Komponisten vielfach auf vorhandenes Material zurück, arbeiten es um und stellen neue Werke daraus zusammen. Gerade Pasticci sind in einem hochgradigen Maße der Technik der Kompilation unterworfen. Dies hat dazu geführt, dass ihnen der Status als Werk meist abgesprochen wird, aber auch, dass im Zuge der intensiveren Beschäftigung mit dieser Form seit den 1970er Jahren der im 19. Jahrhundert konturierte Begriff des Werks als in einem Geniestreich geschaffene unveränderliche Entität auf den Prüfstand gestellt wurde. Für die Frühe Neuzeit scheint ein offener Werkbegriff sinnvoller zu sein, der vielfältige Formen werkkonstituierender Tätigkeiten verschiedenster Akteure zulässt. Paratexte existieren in Pasticci werkimmanent bereits schon in Annotationen, Kürzungen, Strichen, Transpositionshinweisen, Überklebungen und insbesondere in den Vorlagearien, deren Sänger und Komponisten angegeben sein können. Die Edition von Pasticci ist aber insofern eine Herausforderung, da durch die disparate Qualität der einzelnen Komponenten erst eine Fülle an Hintergrundinformationen essentiell zum Verständnis der Kompilationen beiträgt. Diese quasi impliziten und in der editorischen Arbeit aufzudeckenden Paratexte, die sich durch die Kontextualisierung insbesondere der Vorlagearien ergeben und Informationen zu Herkunft, Umarbeitungen, Sängeritineraren, Aufführungen, Quellen usw. geben, können kaum angemessen in Vorworten oder Kommentaren dargestellt werden. Das polnisch-deutsche Projekt „PASTICCIO. Ways of Arranging Attractive Operas“ hat sich denn auch bei seinen in Arbeit befindlichen Online-Editionen der Pasticci Catone (London 1732, Arr. G. F. Händel), Catone in Utica (Hamburg 1744, Arr. P. und A. Mingotti) und Siroe (Dresden 1763, Eigenpasticcio von J. A. Hasse) zum Ziel gesetzt, diese Informationen über eine Datenbank in die mit Edirom erstellten Editionen zu integrieren. Zur Strukturierung werden die Daten nach dem für Bibliotheken entwickelten FRBR-Modell angelegt und in „work“ (Pasticcio und Komponenten), „expression“ (Aufführungen), „manifestation“ (Quellenart) und „item“ (einzelne Quellen) gegliedert. Personen und Institutionen (etwa Opernhäuser) werden ebenfalls erfasst. Damit betritt das Projekt im musikhistorischen Bereich weitgehend Neuland und übernimmt – neben anderen Pionieren wie bspw. dem Projekt Detmolder Hoftheater – eine Vorreiterrolle. Selbstverständlich können die gesammelten Daten neben der Integration in die Edition auch für isolierte Abfragen und Visualisierungen genutzt und somit mehrfach verwertet werden. Der hier vorgeschlagene Werkstattbericht wird aus verschiedenen Blickwinkeln die Entwicklung und Generierung der editorischen Paratexte beleuchten und Erfolge wie Probleme ansprechen. Dabei wird es um die Daten, ihre Aufbereitung, die Datenbankstruktur und ihre Anzeige gehen.