Henzel, Katrin

Aus AG-Tagung 2020
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Dr. Katrin Henzel (Oldenburg)

  • 2012 Promotion an der Universität Leipzig am Institut für Germanistik
  • 2009-2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim DFG-Projekt "Historisch-kritische Hybrid-Edition von Goethes 'Faust'" (http://faustedition.net/)
  • seit 2015 Mitarbeiterin am Institut für Germanistik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Bereich der Neueren deutschen Literaturwissenschaft

Forschungsschwerpunkte

Gattungstheorie (Brief, Stammbuch, Drama, Regiebuch); DH und Editionswissenschaft (Schwerpunkt genetische Editionen); Methodik der Literaturwissenschaft; Lese-/Rezeptionsforschung; Literatur des 18. und frühen 19. Jahrhunderts

Vortrag

Text(e)? Werk? Beiwerk? Überlegungen zum Edieren von Stammbüchern

Genette hat die Paratexttheorie am Beispiel des Romans an Texten entwickelt, deren ‚Beiwerk‘ im Distributions- und Rezeptionsmodus zu verorten und durch diesen geprägt ist. Wie sieht es aber mit Texten aus, die nicht den Prozess des Druckens/der Veröffentlichung und der medialen Bewerbung und Nachbereitung erfahren haben, sondern aufgrund ihrer Funktion eher einen ‚privaten‘ Charakter haben und i.d.R. nicht-fiktionaler Art sind? Am Beispiel des Stammbuchs – einem Sammelmedium mit Einträgen von Freunden oder Bekannten, das vorrangig der Freundschaftsbekundung dient und der Memorialliteratur und Gebrauchsliteratur zugeordnet werden kann – soll dieser Frage nachgegangen werden. Dabei stehen folgende Teilaspekte und -fragen im Vordergrund: 1. Kann eine Theorie wie die Paratexttheorie überhaupt auf (Gebrauchs-)Texte und Textsammlungen wie Stammbücher angewandt werden? Welche Parameter müssen hierbei berücksichtigt werden? Was gilt in einem solchen Album überhaupt als Text, was als Paratext? Unter diesen Fragestellungen sollen die einzelnen Bestandteile eines Albums samt möglicher Epitexte zueinander in Beziehung gesetzt werden. Von besonderem Interesse ist hierbei die Bestimmung von Relationen, bei denen ein Medienwechsel mitzudenken ist; denn nicht selten beinhalten die Alben neben Inskriptionen auch Bilder, die entweder ‚nur‘ illustrativen Charakter haben können (und beispielsweise eine nachträgliche Auftragsarbeit an einen Maler oder Zeichner darstellen) oder aber in ihrer Bedeutung und Funktion vom Text nicht getrennt werden dürfen (vergleichbar dem Emblem). Auch gibt es Alben mit Partituren (Musikeralben) oder Bildern, bei denen Texte allenfalls den Einträger identifizieren sollen (Künstleralben). 2. Können Stammbucheinträge oder gar Stammbücher überhaupt Textstatus erlangen oder sind sie allenfalls als Epitexte zu verstehen und in Editionen entsprechend zu behandeln? 3. Es existieren zahlreiche Editionen einzelner Stammbücher meist berühmter Halter. Doch stellen dies zumeist Faksimileausgaben dar, die – so darf vermutet werden – in erster Linie als ‚Liebhaberstücke‘ einzuordnen sind, da es einerseits insbesondere darum geht, den kunstvollen Charakter dieser Alben in möglichst ‚authentischer‘ Form zu vermitteln, andererseits die Persönlichkeit des Halters oder der Eintragenden und dessen/deren in den Alben zutage tretendes Netzwerk zu würdigen. Nur die besonders außergewöhnlichen Exemplare – weil sie als besonders ‚schön‘ oder wichtig erachtet werden – werden ediert. Wie sehr prägen diese Faksimile-Editionen das ‚Bild‘ von Stammbüchern, obwohl oder gerade weil sie nicht die typischen Formen eines Stammbuchs aufzeigen, sondern die Ausnahmen? Wie ist das Verhältnis zwischen Original und Edition im Kontext der Gattungsfrage zu bestimmen? 4. Stammbücher werden in Archiven und Bibliotheken teilweise sehr unterschiedlich erschlossen und systematisiert. Welche Schwierigkeiten bestehen hierbei und worin liegen die Gründe? Wie lassen sich Stammbücher derart verzeichnen, dass Nutzer aus verschiedenen Fachbereichen die Metadaten gewinnbringend für ihre Recherchen nutzen können? Gerade weil Stammbücher so unterschiedliche Medien beinhalten können wie Partituren, Texte, Bilder oder auch andere Objekte (wie beispielsweise eingeklebte Haarlocken oder Stickereien) und sich entsprechend durch Medienmischung auszeichnen, stellt ihre Verzeichnung ein schwieriges Unterfangen dar. 5. Schließlich soll aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten der wissenschaftlichen Erforschung von Stammbüchern anhand von Editionen und Datenbanken/Katalogen möglich sind und welche Konsequenzen sich daraus für die Erschließung dieser Objekte ergeben.