Hess, Jan
Jan Hess, M. A. (Marbach)
- 2009–2016 Studium der Germanistik, Politikwissenschaft und Interkulturellen Gender Studies an der Universität Trier
- 2016–2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Trier Center for Digital Humanities/Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften, Mitarbeit u.a. am Editionenviewer „EdView“
- seit 2018 Promotion an der Universität des Saarlandes zu den Tagebüchern Klaus Manns
- seit 2019 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Literaturarchiv Marbach, Mitarbeit im Science Data Center (SDC4Lit) sowie an EdView
Vortrag
„To my Soldier friend Klaus from MARIANNE“1 – Peritexte in den (privaten) Tagebüchern Klaus Manns und ihre editorischen Herausforderungen
„‘Ist er ein Hiesiger? Nein, aus beiden Reichen erwuchs seine weite Natur. Kundiger böge die Zweige der Weiden, wer die Wurzeln der Weiden erfuhr.‘ Sonette an Orpheus.“ (T8,2)
Auch wenn Zitate angesehener Autoren wie Rilke als vorangestelltes Motto in (literarischen) Werken im Allgemeinen und in Klaus Manns Werken im Besonderen keine Seltenheit darstellen, sind sie doch etwas überraschend auf der Innenseite des Heftdeckels eines Tagebuchs, dessen zeithistorischer Wert oftmals auch deshalb überbetont wird, weil der literarische vielen Interpretierenden ungenügend erscheint. Nicht minder überraschend ist, dass die neueste Edition der Klaus-Mann-Tagebücher2 dieser exponierten Position des Mottos im Original-Manuskript trotz der eindeutigen Abgrenzung zum Haupttext nicht Rechnung trägt. Während sich die hier zitierten Rilke-Verse zu Beginn des am 28.10.1936 begonnenen, achten Tagebuch-Hefts in der Edition ohne nennenswerte druckgraphische Abstandsmarkierung unmittelbar hinter dem letzten Tagebucheintrag des vorangehenden Hefts wiederfinden, wird das Rilke-Motto zu Beginn des gut ein Jahr zuvor begonnenen sechsten Hefts (vgl. T6,2) gar nicht aufgeführt. Zusammen mit den fehlenden oder als solche nicht erkennbaren Motti entgeht dem Benutzer dieser Edition zwangsläufig auch ein Beleg für das Bestreben des Tagebuchverfassers, den eigenen Text durch das vorangestellte Motto zu kommentieren, ihn einzuordnen, ihn trotz oder gerade wegen der gelegentlichen Beteuerungen der literarischen Bedeutungslosigkeit wie das ‚eigentliche‘ Werk zu behandeln. Die vorangestellten Motti sind nicht die einzigen Peritexte der Tagebuch-Manuskripte, auf die die Edition verzichtet. Neben den auf separaten Textträgern beiliegenden Visitenkarten, Notizzetteln, Werklisten, Zeitungsausschnitten oder Einladungen finden sich auf den Anfangs- und Schlussseiten einzelner Tagebuchhefte finanzielle und literarische (Jahres-)Bilanzen, ein kleinerer Romanentwurf, der die grundsätzliche Bedeutung des Tagebuchs als Epitext verdeutlicht, oder auch die im Titel des hier vorliegenden Konferenzvorschlags bereits zitierte, allographe Widmung. Geschrieben auf einer Leerseite der Titelei des Taschenkalenders, wie sie Klaus Mann ab 1943 anstelle der deutlich großformatigeren Schreibhefte benutzt, stellt die Widmung nicht nur den erzählerisch passenden Einstieg des neuen Tagebuch-Hefts dar, dessen Vorgänger mit der Hoffnung, „to be in the Army soon“ (T14,184), schließt, sondern liefert zugleich einen wichtigen textgenetischen Hinweis auf eine (unbeabsichtigte) Beeinflussung der Mann’schen Entscheidung, für seine tägliche Niederschrift fortan kleinformatigere Taschenkalender zu verwenden und damit Form und Umfang seiner diarischen Eintragungen grundsätzlich zu ändern. Angesichts ihres Informationsgehalts stellt sich weniger die Frage, ob die erwähnten Peritexte im Falle einer (digitalen) Neu-Edition der Mann-Tagebücher Berücksichtigung finden sollten, sondern vielmehr, in welcher Form oder an welchem Ort. Inwiefern ist beispielsweise der Metatextualität der undatierten Motti Rechnung zu tragen, die doch einer bestimmten Menge an Tagebucheinträgen übergeordnet sind und nur bedingt deren tagebuchtypisch engen Zeitbezug teilen? Wie ist mit der ebenfalls undatierten Widmung des diarischen Textträgers durch eine fremde Hand umzugehen? Ist eine angesichts des engen Zeitbezugs der Tagebücher naheliegende, editorische Gruppierung der Einträge nach Jahren sinnvoll oder muss der Fokus gerade bei handschriftlichen Dokumenten nicht doch mehr auf dem Textträger liegen? Diesen und weiterführenden Fragen zur Edition von Peritexten in privaten Tagebüchern am Beispiel Klaus Manns soll sich der hiermit vorgeschlagene Beitrag widmen.